VERANSTALTUNGEN

Es gibt Sachen, die zwar nicht alle können, aber viele.

Aber es gibt etwas, das nicht viele können, sondern alle.

Nämlich Filme machen, in Filmen mitspielen und Filme sehen.

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Rede zu Ehren des Schriftstellers und Filmkünstlers Alexander Borodynia

Gehalten anlässlich der Russischen Nacht in der Stadtbibliothek Ludwigshafen am Rhein am Samstag, dem 30. September 2006

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

lieber Alexander Borodynia,
ich freue mich sehr hier in der langen Nacht der Bibliothek 2006 – der Russischen Nacht – den in Ludwigshafen lebenden russischen Schriftsteller, Künstler und Filmemacher Alexander Borodynia vorstellen zu dürfen.
Es ist kein Geheimnis: die meisten Künstler und Intellektuellen leben im Verborgenen, abseits der den Marktgesetzen unterworfenen und so einem breiten Publikum zugänglichen kulturellen Massenware. Dies hat nichts mit mangelnder Qualität der von ihnen geschaffenen Kunstwerke zu tun, denn die massenhafte Verbreitung der Ware Kunst ist wie die Verbreitung aller Waren in den meisten Fällen nicht an die Qualität der Ware gebunden. Wer in den nächsten Tagen über die Internationale Frankfurter Buchmesse gehen wird, kann sich, wie jedes Jahr, davon überzeugen, dass sich die überwiegende Mehrzahl der dargebotenen Schriften, und das ist unabhängig vom Herkunftsland, als schnell vergessene Massenware entpuppt.
Der damalige Leiter der Handschriften-Abteilung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, Pfeifel, klagte vor Jahren schon in einem Gespräch mit mir, dass beispielsweise amerikanische Wissenschaftler, ausgestattet mit erheblichen Fördergeldern, stundenlang mit Vergrößerungsgläsern bereits vielfach ausgewertete Schiller- oder Hoffmansthal-Handschriften in der Hoffnung studierten, noch etwas bislang Verborgenes darin zu finden, während bei ihnen zu Hause, quasi um die Ecke in New York, wertvolle und unwiederbringliche Handschriften und Typoskripte vergessener Exilschriftsteller im Müllcontainer landeten. Man könne nur ahnen welche Mengen wertvoller kultureller Güter so verloren gingen, erschaffen von im Verborgenen Schaffenden.
Auch Alexander Borodynia möchte ich zu diesen im Verborgenen lebenden und arbeitenden Künstlern zählen. Obwohl er unermüdlich arbeitet, sind seine Werke hier in Ludwigshafen und erst recht darüber hinaus kaum bekannt.
Aus diesem Grunde ist es besonders wichtig heute einen Teil seine Arbeiten einem Publikum vorstellen zu können.
Borodynia wurde am 5. April 1957 in Moskau geboren, wo er 1998, nachdem er seinen Lebensplan als Schriftsteller erfüllt hatte, starb. Nun Sie wundern sich, warum er heute hier unter uns weilt. Diese Tatsache geht nicht etwa auf ein biologisches oder gar religiöses Wunder zurück, sondern einzig und allein auf die Tatsache, dass er im Jahr 1998 für sich selbst entschieden hat, als Schriftsteller zu sterben – fortan nicht mehr existiert.
Sieht man einmal von der Koketterie ab, die hinter einer solchen Aussage zu vermuten ist und schaut sich die realen Gegebenheiten an, dann wird diese Entscheidung verständlich.
Obwohl Borodynia mit acht Jahren Geschichten zu schreiben begann, erschien sein erstes Buch erst 1990; er war zu diesem Zeitpunkt dreiunddreißig Jahre alt. Dies hängt nicht zuletzt mit der geschichtlichen Entwicklung in Russland zusammen. Mit Gorbashows Perestroika ebenso wie mit dem Zerfall der UdSSR. Nach der mit Breshniew verbundenen Zeit der Stagnation entwickelte sich nun eine Um- und Aufbruchstimmung, die es möglich machte, dass Schriften veröffentlicht wurden, die vorher nicht gedruckt worden wären. In dieser Zeit wurden Alexander Borodynias Romane ganz in russischer Tradition in Auflagen in Millionenhöhe der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Er bekam für seine im weitesten Sinne utopischen Erzählungen Preise und es bildeten sich um ihn herum in Moskau auch wieder in russischer Tradition literarische Zirkel. Für einen Schriftsteller eine durchaus akzeptable Arbeitssituation.
Dennoch verlässt er Russland, erklärt sich als Schriftsteller für gestorben und kommt ausgerechnet nach Ludwigshafen. Nun letzteres war eher Zufall, das andere hatte seine Gründe.
Nachdem sich in Russland die Marktwirtschaft immer mehr durchgesetzte, orientierten sich auch die Verleger zunehmend an der zu erzielenden Rendite. Die experimentelle und schriftstellerische Freiheit verkümmerte zur Privatangelegenheit, gefragt war künftig Gutverkäufliches. Borodynia wollte keine Zugeständnisse machen, wollte sich nicht von Betriebswirtschaftlern und Werbestrategen seine Arbeit bestimmen lassen.
Da er weiß, dass die Rahmenbedingungen hier nicht anders sind, erfand er die Geschichte seines Ablebens.
Ein weiterer Grund für seine Entscheidung war die Ablehnung seines letzten Romans, dessen Titel auf Deutsch etwa „Golems und Sibyllen“ heißen würde, durch die russischen Verlage. Die Handlung ist grob umrissen folgende: Eine fiktive Partei will alle Kranken, Hässlichen und alle ihrer Meinung nach Minderwertigen vernichten. Es sollen nur noch schöne und starke Menschen leben. Und sie sind davon überzeugt, dass sie als einzige wissen, was für die Menschheit gut ist. Wer sich dagegen stellt muss weg. Die Golems, das sind die Obdachlosen, die Kranken, die Hässlichen, für die anderen der Abschaum, der scheinbar aus dem Nichts entstanden ist, sie müssen ausgerottet werden. Es entbrennt ein erbitterter Kampf, aus dem, entgegen allen Erwartungen, die Golems als Sieger hervorgehen. Die Handlung ist gespickt mit skurrilen Geschichten wie den Verkauf Lenins aus dem Mausoleum an reiche Milliardäre. Das Geschäft läuft so gut, dass immer wieder Doppelgänger gefunden, ermordet und einbalsamiert werden müssen, um der Nachfrage gerecht zu werden.
Borodynia schwamm als Schriftsteller nicht mit, in dem sich immer mehr herausbildenden Mainsteam, er blieb Einzelgänger. So veröffentlichte er seine Gedanken nicht nur in einer klarumgrenzten Anzahl von Zeitschriften, die eine bestimmte einheitliche Richtung verfolgen, sondern in allen Zeitschriften, die ihn druckten, unabhängig von deren Ausrichtung. Das führt zwangsläufig zu Anfeindungen.
Alexander Borodynia weist immer wieder darauf hin, dass ein Autor zwar eine eigene Position haben, diese aber in den literarischen Werken nicht offen zeigen soll. Nach seiner Ansicht bringt richtige Literatur den Leser dazu, Fragen zu stellen und nimmt ihm nicht die Antworten vorweg. Wenn er beispielsweise einen Faschisten darstellt, dann zeigt er die literarische Person als ganz normalen Menschen, ohne eine Bewertung abzugeben, er stellt das Denken und das sich daraus vielleicht ergebende Handeln des Faschisten jedoch in der diesem innewohnenden Logik bis zur letzten schlüssigen Konsequenz dar und führt es so ad Absurdum. In Borodynias Werken gibt es keine Helden, erst recht keine positiven Helden etwa in Tradition des in der UdSSR propagierten sozialistischen Realismus oder Hollywoods. Die Personen agieren polyphonisch nebeneinander. Eine Ausnahme hierbei bilden die Verfilmungen literarischer Vorlagen.
Vielleicht wundern Sie sich, warum ich hier an seiner Stelle stehe und Ihnen das alles erzähle und nicht er selbst. Das liegt daran, dass er in all den Jahren, die er hier lebt kein Deutsch gelernt hat. Nicht dass er das nicht wollte, aber es ist schwierig mit ihm. All meine Versuche ihm einen deutschen Satz beizubringen enden damit, das er mir bevor mir das gelingt schon zwei russische Sätze beibringen will und sich dabei in solche Sprachassoziationen verstickt, dass an die eigentliche Absicht nicht mehr zu denken ist.
Die Gabe des freien Assoziierens und des Erfindens von meist skurrilen Geschichten kommt ihm auch bei seiner neuen Tätigkeit als Filmkünstler zugute. Da er die Sprache nicht spricht, bleibt ihm nur der Weg über eine Sprache, die alle verstehen: die Bildsprache. Auch in Russland hatte er schon Filme mit einer 16 Millimeterkamera gedreht – einige sind hier unter dem Titel „Filme aus dem Keller“ zu sehen. Seit er in Deutschland ist arbeitet er unermüdlich an Filmprojekten, von denen einige hier gezeigt werden. Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Filme verweisen, auf „Nichtiger Beschluss“ und „Schreiende Stille“ und auf einen Filmzyklus, der kurz vor Mitternacht zu sehen sein wird: die Verfilmung russischer Volksmärchen aus dem 19. Jahrhundert von Afanasiew, die ihm sehr am Herzen liegen. „Nichtiger Beschluss“ und „Schreiende Stille“ sind beides auf ihre Art sehr bedrückende Filme. In beiden Filmen weiß man nicht, ob die Handlung sich im Kopf abspielt, ob alles ein böser Traum ist oder ob sie real ist.
In „Nichtiger Beschluss“ erscheint die agierende Person real, die sie umgebende Welt besteht jedoch aus gezeichneten Räumen. Eine junge Frau sitzt in der Todeszelle und wartet auf die Vollstreckung. Ist alles in Traum oder die Wahnvorstellung eines wirklich zum Tode verurteilten Menschen? Auch „Schreiende Stille“ ist eine deprimierende Geschichte: Ein altes Paar ist nicht fähig miteinander zu kommunizieren. Auch hier weiß der aufmerksame Zuschauer nicht, ob die Handlung eine reale Darstellung aus der sehr einseitig erscheinenden Sicht des agierenden Mannes ist oder ob alles ein Produkt seiner verworrenen, man könnte fast sagen pathologischen Destruktionsphantasien ist.
Sehen Sie sich die Filme an, die heute hier gezeigt werden und urteilen sie selbst. Ich möchte aber jetzt schon darauf hinweisen, dass sie uns große Konzentration abverlangen. Erheiternder sind die russischen Märchen, die jedoch teilweise sehr derb sind, obwohl hier, darf ich verraten, nur die Soft-Fassung gezeigt wird.
Nicht unerwähnt bleiben darf, dass all die Arbeit nicht geleistet werden könnte ohne die selbstlose Mithilfe und Unterstützung von Alexander Borodynias Frau Raisa Imenitova und in bestimmtem Maß auch seines Sohnes Boris Imenitov.
Abschließend möchte ich im Namen von Borodynias darauf hinweisen, dass er ein Projekt Volkskino ins Leben gerufen hat, zu dessen Mitarbeit und/oder finanziellen Förderung alle Interessierten aufgerufen sind.

Rembert Baumann


 



 

 

 

 

     
     
     
     
     
     
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